TÜRKEI I

18. – 24. OKTOBER 2019

“DU KOMMST ALS FREMDER UND GEHST ALS FREUND”

TÜRKISCHES SPRICHWORT

Die Türkei ist echt anders, als alles, was wir bisher erlebt haben. Die Leute sind unglaublich freundlich und schnappen einen direkt von der Straße weg auf einen Çai und ein kleines Pläuschchen. Ob sie jetzt Englisch oder Deutsch können oder nicht. Wir sind inzwischen richtige Pantomimekünstler geworden und können minderkomplexe Sachverhalte erklären. Also je nachdem, wie kreativ der Gegenüber ist und wie viel Bock er hat, etwas in unser Gefuchtel zu interpretieren. 

Naja, auf jeden Fall haben wir die Grenze bei Ipsala überquert und uns erstmal gewundert, was denn hier überall brennt. Alles hat gestunken und über der relativ flachen Landschaft hing ein richtig dichter, blauer Dunst. Ein Grenzbeamter hat uns erklärt, dass die Bauern „irgendwas landwirtschaftliches“ verbrennen und dass das um die Jahreszeit normal ist. Wir haben Kopfschmerzen gekriegt und sind auf der autobahnähnlichen Straße weitergefahren. Das war echt seltsame Weltuntergangsstimmung: die Sonne stand tief und hat den Rauch ganz dramatisch beleuchtet, wir ganz allein auf dieser zweispurigen Schnellstraße plus Pannenstreifen und auf der anderen Straßenseite ein ellenlanger Stau von LKWs, die ausreisen wollen. Dazu die gedämpfte Stille und wartende Leute, die uns ungläubig angucken. Und natürlich einzelne dürre Hunde, die um Essen betteln. Sehr schräg. 

Aber weil die Bevölkerungsdichte wirklich nicht sehr hoch ist, und die Landschaft auch relativ flach, findet man leicht einen schönen Schlafplatz mit Sonne am Morgen. Zum Glück auch relativ rauchfrei. Am nächsten Tag wollten wir eigentlich mal wieder Strecke machen, aber da haben wir die volle Breitseite der Gastfreundschaft kennengelernt. Erst vor dem Supermarkt, wo wir auf einige Tees, dann auf einen Kuchen und zum Schluss noch auf Pommes eingeladen wurden. Und dann, als wir weitergefahren sind und kurz mitten zwischen den Feldern für eine Trinkpause angehalten haben. Ein Traktor hat uns überholt, ist stehengeblieben und der Fahrer hat uns vollgeredet. Leider haben wir wirklich garnichts verstanden und gedacht, er meinte, wir hätten eine Panne und bräuchten Hilfe. Aber das wars nicht. Dann wurde es wildes Spekulieren, was er mit seinem Wortschwall und dem ganzen Um-sich-gedeute meint und wir haben einfach mit Ortsnamen um uns geworfen, weil das ja unmissverständlich ist. Und er hat sich immer weiter wiederholt, mit den Händen gewedelt, Ortsnamen genannt und wir wurden immer verwirrter und er immer lauter, bis wir uns laut schreiend gegenüberstanden. Und dann ist der Groschen gefallen. Wir haben gecheckt, dass die Geste ein Glas zeigen soll, in dem man mit dem Löffel umrührt und wollte uns zum Çai in den nächsten Ort einladen und sollen dem Traktor einfach folgen. Easy. Da kamen wir uns auch echt saublöd vor, weil wir die Geste „Teetrinken“ mit einer Tasse mit Henkel, die wir zum Mund führen, symbolisieren würden. Aber die Çai-Gläschen haben nunmal keinen Henkel. Aber gut, er hat auch schlampig pantomiert und wir hatten Stress ihn so schnell wie möglich zu verstehen, weil wir wollten, dass er aufhört, zu schreien.

Einmal hatten wir auch eine lustige Situation. Tom und ich sitzen vor einem großen Supermarkt auf dem Boden und essen ein Eis. Nebendran war ein Restaurant und eine Familie mit Kind, das auf einem Fahrrad rumgedüst ist. Ein alter Mann kommt vom Restaurant um die Ecke, sieht uns und schüttelt lachend den Kopf. Er macht eine Geste mit der flachen Hand parallel zum Boden auf Höhe der Hüfte, deutet hinter sich und schaut uns fragend an. Wir verneinen beide. Er lacht und geht weiter. 

ICH     Was dachtest du jetzt, was er meint? 

TOM     Ja, ob der Bub zu uns gehört. Wieso, was dachtest du denn?

ICH     Achso.. ich dachte, er meint, dass wir uns ruhig auch an den Tisch setzen können.

Na immerhin waren wir uns mit der Antwort einig. 

Sonst ging es eigentlich ganz schön dahin. Wir hatten ja Istanbul als nächstes großes Ziel vor uns und wollten da auch relativ schnell hin, aber die Hauptstraße hat mit dem ganzen Lärm und Verkehr wenig Spaß gemacht. Deswegen sind wir, wenn der Umweg nicht allzu groß war, über die Käffer getingelt. Auf der Map, mit der wir navigieren, wird aber leider nicht immer angezeigt, um was für eine Straßenbeschaffenheit es sich handelt. Kurz vor Tekirdağ haben wir uns dummerweise dazu entschlossen, hintenrum reinzufahren und standen dann auf einem richtig beschissenen Geröllweg. Umdrehen wollten wir aber auch nicht, weil dann hätten wir den Berg nochmal wo anders hochfahren müssen, also dachten wir uns, so schlimm wirds schon nicht und sind weitergefahren. Ziemlich schnell haben uns aber unsere Räder leid getan, also haben wir sie geschoben. Und damit ist uns dann echt die Zeit weggelaufen. Der Plan war nämlich, dass wir schnell in der Stadt einkaufen, wieder rausfahren und uns ein Plätzchen suchen. Aber so wurde das nix, also haben wir kurz unsere Möglichkeiten überschlagen und beschlossen, hier in der Pampa (mit traumhafter Aussicht auf Tekirdağ am Meer) zu zelten, der Tom geht nochmal 4 km den Hang rauf und holt Wasser an einem Trog und ich baue auf und fang an, unser Notfallessen zu kochen. Das war diesmal Tüten-Maccaroni in Käsesauce. Aber irgendwie wurde da keine Soße draus, sondern blieb dünnes Käsewasser. Außerdem wars viel zu wenig. Tom war auch nicht begeistert, als er zurückkam, weil der Tag doch anstrengend war. Zum Glück haben wir noch eine Packung Kartoffelpürree dabei gehabt, und weil ich nicht noch einen Topf anpatzen wollte, hab ich die Flocken einfach in die Suppe gehauen und Tadaa: sämige Kartoffelsuppe mit Käse und Nudeln. Schön mit Muskat und dem Gewürz vom Schloßberger Metzger verfeinert und ein richtiges Gourmetessen gezaubert. Zum Nachtisch gabs noch einen Granatapfel und alles war gut. Fürs Frühstück hat unsere Speis leider nix mehr hergegeben außer Reis mit Salz. Naja war auch gut.

Und am nächsten Tag ist uns das Gleiche nochmal passiert.. wir haben die Zeit übersehen und standen blöd auf der Hauptstraße rum und nix ging her zum Zelt aufschlagen. Rundrum waren nämlich nur schaurig verlassene Touristenappartments. Tom hat den einzigen Mann dort gefragt, ob es oke ist, wenn wir irgendwo auf den Grünflächen zelten. Der hat aber nur abgewunken, ist in seine Steinmetzwerkstatt, hat einen Schlüssel rausgeholt und uns bedeutet, ihm zu folgen. Wir sind ihm ein bisschen ratlos hinterher, weil wir nicht wussten, was uns jetzt erwartet. Wir wollten ja in kein Hotel oder so. Aber er hat eine Straße weiter eine Art Garage aufgesperrt, wo ein paar verstaubte Möbel drin standen und gemeint, wir könnten gerne hier schlafen. In einem kleinen Nebenraum stand auch ein Klo (aber ohne Spülung) und einen Wasserhahn mit Spülkasten drunter, aber ohne Spülbecken. Freudig macht er den Wasserhahn auf, um zu zeigen, dass alles funktioniert und das Wasser rauscht einfach in den Kasten, wo es von den Pressspahnplatten aufgesaugt wird. Nachdem alles gezeigt war, hat er uns eingeladen bei ihm zu essen, also haben wir Brot und Aufstrich ausgepackt und sind mit ihm wieder zu seiner Werkstatt gegangen. Dort haben wir festgestellt, dass er da drin auch wohnt und auf einer kleinen mit einer Steinstaubschicht überzogenen Couch schläft. Wir haben auf einer uralten Röhre eine türkische Talkshow mit betrogenem Mann inklusive Schwangerschaftstest und allem angeschaut und geredet. Das Lustige war nur, dass er außer „no Problem“ überhaupt kein Englisch konnte. Aber wir haben uns alle mächtig ins Zeug gelegt, das pantomimisch zu kompensieren. Und ich glaub, dass mindestens 80% des „Gesprächs“ richtig gedeutet wurde. Das war echt ein lustiger Abend. Irgendwann haben wir uns dann verabschiedet und sind zurück in unsere Garage, um uns nochmal zu waschen. Als wir den Wasserhahn aufgedreht haben, hat er mords aufgewerkt und erstmal nur braune Brühe ausgespuckt. Wir haben natürlich alles brav ins Klo gekippt, weil wir ihm ja nicht die Bude fluten wollten. Nach 20 Litern wurde es langsam klarer und damit gut genug für eine Katzenwäsche in dem Raum, in dem wir beide nicht aufrecht stehen konnten. Das war echt wieder ein gutes Beispiel für Leute, die selbst fast nicht genug zum Leben haben, und das dann noch liebend gern teilen. Freudestrahlend und winkend hat er uns am nächsten Tag verabschiedet. Danke für alles lieber Duman.

An diesem Tag sind wir hauptsächlich Hauptstraße gefahren und haben uns in Selimpasa in einer ziemlich schäbigen Pension ein Zimmer genommen, damit wir möglichst fit in die gestörte Istanbul-Stadtetappe starten können. Aber dann sind wir endlich in ISTANBUL!!!


EMPFEHLUNGEN DER REDAKTION

  • Türkei | nicht nur die Touristenorte angucken, sondern einfach mal mit dem Auto oder Bus in irgendein Dorf fahren und dort einen Tee trinken. Der Rest kommt sicher von allein.