ISTANBUL (TÜRKEI)

24. OKTOBER – 5. NOVEMBER 2019

Hier kann man wirklich Wochen verbringen, ohne es zu merken. Das ist eine unfassbar riesige Stadt, was man sich erst wirklich vorstellen kann, wenn man da mal mit dem Fahrrad reingefahren ist. Und von der Stadtgrenze zur Mitte einen ganzen Radltag eingeplant hat und den dann auch komplett braucht. Von Selimpasa sind wir gestartet und hatten eine Strecke von 67 km bis zu Sultan Ahmet vor uns. Das sind ca. 30-35 km reine Stadtfahrt. Anfangs haben wir versucht, möglichst viel auf parallelen Seitenstraßen zu fahren, aber da ging es die ganze Zeit auf schlecht gelegtem Kopfsteinpflaster steil rauf und runter. Also doch lieber konzentriert die Hauptstraße. Das war echt super anstrengend, weil aus den anfangs zwei Spuren wurden irgendwann 4-6 und andauern Auf- und Abfahrten, wo man als Radler keine Rechte besitzt. Sprich, wenn rechts eine Ausfahrt abgeht und wir geradeaus weiterfahren, müssen wir aufpassen, dass Leute, die uns überholen und dann doch noch rechts abbiegen, uns nicht einfach mitnehmen. Das ganze geschieht natürlich ohne Blinker. Generell haben Lichter wenig Bedeutung. Wir waren irgendwann bei einem riesigen Kreisel, wo es Ampeln in den Kreisel rein und Ampeln im Kreisel selbst gab. Und alle waren rot. Und alle sind gefahren.. Da haben wir uns erstmal an den Rand gestellt und versucht, das Ganze zu durchschauen. Fazit: wer bremst verliert, also einfach laut hupend durchfahren. Hat funktioniert. Die Fahrt war trotzdem anstrengend, weil man nur beschäftigt ist, Hin-und Herzugucken, bei dem Wind der LKWs das Gleichgewicht zu halten, die Autos im Rückspiegel zu beobachten und auf dem schmalen Seitenstreifen zu balancieren. Wenn die eine Straße neu teeren, wird da nix vorher abgefräst. Einfach neue Ladung drauf, auswalzen und fertig. Aber es wird halt nicht bis Ganz zum Rand gewalzt sondern so weit der Teer eben reicht. Dann muss man ja noch den ganzen Hindernissen ausweichen: Kieshaufen aus dem letzten Winter, geplatzen LKW Reifen, jeder Menge Glas, Plastikflaschen mit gelbem Inhalt und allerlei Viechzeug in verschiedenen Stadien. Also wirklich kein Sonntagspaziergang, aber das war uns ja auch bewusst und wir seelisch drauf vorbereitet. Trotzdem waren wir echt heilfroh, dass es die letzten 5 km einen schicken Radweg direkt am Meer gab. 

so ging es fast 6 Stunden lang dahin

Als wir dann endlich vor Sultan Ahmet standen, waren wir erstmal völlig überfordert, weil wir vor Sultan Ahmet standen. Einfach so mal mit dem Radl hingeradelt. Wir haben uns hingehockt und mit Tränen in den Augen vor uns hingestarrt und langsam begriffen. Zum Glück haben wir vorher ausgemacht, dass der Benjamin, mit dem wir schon in Albanien geradelt sind, uns abholt und uns zum Hostel begleitet. Da waren wir echt heilfroh, weil der Verkehr in der Innenstadt ist auch nochmal so eine Sache für sich. Wenn man da nicht schon bei Orange mit quietschenden Reifen startet, dann gibts ein Hupkonzert vom Allerfeinsten. Aber Benjamin hat uns da schön bis zum Galata Tower Hostel durchgeschleust und wir sind ohne Sucherei sicher angekommen. So jetzt auch genug vom Verkehr.

Dann waren wir da und konnten uns mal wieder den ganzen Dingen widmen, die sich so angesammelt haben. Ganz wichtiger Punkt: Route planen!!  Wir wollen einfach partout nicht fliegen, und weil wir mit einigen Radreisenden in Kontakt stehen, die auch versucht haben, über den Land- oder Wasserweg in den Osten Afrikas zu kommen, wissen wir, dass die Wahrscheinlichkeit, mit einem Segelschiff rübergenommen zu werden, gegen null geht. Egal von wo aus. Aber dann haben wir wunderbarerweise rausgefunden, dass Saudi Arabien seine Tore am 27.09.2019 für normale Touristen geöffnet hat. Und damit haben wir das letzte Stück unseres kleinen Umweges nach Afrika. Also ist unser neuer Plan, durch den Iran zu fahren, in Bandar Abbas in den Oman überzusetzen, dann in die Vereinigten Arabischen Emirate, durch Saudi Arabien und mit dem Schiff nach Ägypten, dort das Visum für den Sudan holen und dann in gewohnter Richtung weiter in den Süden tingeln. Soweit wir das bis jetzt rausgefunden haben, sollte das auch alles mit den Visas hinhauen, wenn wir keinen Stempel vom Iran in den Pass kriegen. Weil der Winter jetzt schon deutlich spürbar wird, haben wir uns auch drauf geeinigt, dass wir von Kappadokien aus den Bus nach Teheran nehmen und dann vielleicht noch weiter südlich, weil für lange Schneefahrten sind wir nicht ausgestattet. Aber erstmal das Visum für den Iran besorgen. Dafür muss man in der Botschaft als Frau auch richtig gekleidet sein. Also mit Hijab und doppelter Hinternbekleidung. Also Hose von unten und Oberteil von oben. Weil ich sowas noch nicht hab, erstmal auf den großen Bazar und gucken, ob da was hergeht. Da hatte ich echt Glück, weil ich schnell an einen kompetenten Ladenbesitzer geraten bin, der ehrlich war, englisch konnte und nicht das Zeug hatte, was alle hatten. Natürlich mit Apfeltee und einem Typ, der nach einem kurzen Anruf genau den richtigen Schal gebracht hat, weil sein Sortiment farblich nicht gepasst hat. Tom hatte da die andere Erfahrung.


Eine typische Szene aus dem Bazar, wie sie sich zugetragen hat 

Tom geht zu einem Laden mit Trommeln. Der Verkäufer nimmt eine von dem kunstvollen Aufbau uns spielt darauf. Tom guckt zu, da er eine interessante Technik hat.

VERKÄUFER     Hey my friend. Very good sound. Normally 200, but I close soon, so I can give you for 150.

TOM     Nice. We are here by bicycle and I really miss my drums at home.

Verkäufer nickt, guckt anderen Passanten nach und spielt weiter auf der Trommel.

VERKÄUFER     150

TOM     Yes, but the problem is, we are here by bicycle and I’d love to have one but I don’t  know where to put it. 

VERKÄUFER abwesend     Aha by bike. I know a lot of bicycle travellers and they all have this drum. It’s small. If you want, I can give you for 120.

Verkäufer drückt Tom die Trommel in die Hand und nimmt eine Plastiktüte. Tom versucht, die Technik des Verkäufers nachzumachen. Verkäufer nimmt sie ihm wieder aus der Hand, packt sie in die Tüte und will sie ihm geben.

VERKÄUFER      I will close now. Ok, I can give you for 100 because i really have to go now. 

TOM     Yes but still.. I don’t know where to put it. I have to think about it.

VERKÄUFER wedelt mit der Tüte     It’s small. You can put everywhere. All my friends have it on their bike. Don’t know where problem. 

TOM     No sorry, it’s not small if you travell by bike.

VERKÄUFER     Take it! Only 100. I Will close know. What do you want to think about. It’s small. No problem. Here!!

TOM     No, I just wanted to have a look. I don’t take it now.

Verkäufer wird lauter und drückt ihm die Trommel auf die Brust.

VERKÄUFER     Ok, i can give you for 80. But last price. Just because I close now.

TOM hebt abwehrend die Hände     No sorry. I want to think about it.

Tom geht einen Schritt zurück. Verkäufer kommt einen Schritt nach. Verkäufer noch lauter und drückt ihm die Tüte so fest auf die Brust, dass Tom noch einen Schritt zurückstolpert.

VERKÄUFER     80 last price!! Very good drum! 

TOM     No. Don’t stress me!! I don’t want it! 

VERKÄUFER inzwischen sehr laut     Why? Very good price!! Why think about it?!

Tom flieht, Verkäufer packt die Trommel aus der Tüte auf den Stapel und setzt sich vor seinen Laden. 

Nächster Tag: Tom und Julia gehen spazieren und sehen ein Musikfachgeschäft. Sie finden genau die gleiche Trommel wie am Vortag auf dem Bazar. 

TOM    Hello. How much is it?

VERKÄUFER     52.

TOM     Ok thanks, I think about it.

VERKÄUFER     No problem. Have a nice day.


Ohne Trommel aber mit angemessener Kleidung haben wir uns mit unserer vorher besorgten Referenznummer (über die Agentur 1stquest.com) in die iranische Botschaft begeben, um das Visum abzuholen. Also brav eine Nummer ziehen und warten. Nach einer halben Stunde haben wir gecheckt, dass es völlig egal ist, was für eine Nummer man hat, weil die nie weiterdrücken und man einfach zum Schalter geht, wenn man seine Wartezeit für angemessen hält. Also haben wir uns nach weiteren fünf Minuten an den Schalter gestellt, alle unsere Unterlagen vorgezeigt, als auf einmal eine Frau von rechts kommt, mich wegschiebt und ihre Unterlagen reinreicht. Einfach so. Ohne Entschuldigung und nichts. Und der Sachbearbeiter legt unsere Sachen weg und widmet sich dem Fall der Frau, die auch einfach nur ein Visum beantragt. Weil wir es ja nicht eilig hatten, haben wir sie mal großzügig vorgelassen (sie war ja eh schon da). Dann haben wir einen Zettel bekommen, mit dem wir zur Bank auf der anderen Straßenseite mussten, um das Visum dort zu bezahlen. Geht natürlich nur in bar. Also am Automaten vor der Bank angestellt, 150€ in Lira abgehoben, in die Bank reingegangen (das Nummer ziehen haben wir uns gespart), das gerade abgehobene Geld wieder abgegeben, einen Haken auf dem Zettel bekommen und wieder in die Botschaft, diesmal nur zwei Anstandsminuten, Zettel hergegeben und Visum bekommen. Zum Glück auf einem seperaten Wisch, weil mit Stempel im Pass kommen wir nicht mehr in den Sudan und diverse andere Länder. Aber so ist das kein Problem… hoffen wir.

Das war echt eine große Erleichterung, das alles erledigt zu wissen. Dann konnten wir uns um Toms Sattel kümmern. Das ist nämlich ein Brooks Ledersattel und totaler Mist. Irgendwie hat er da eine schlechte Charche erwischt und das Leder ist viel zu dünn und verformt sich extrem. Das ist bei kurzen Distanzen nicht so schlimm, aber ab 30 km wirds schmerzhaft. Und nachspannen ist zwar möglich, aber auch nicht ewig. Aus Angst, dass er komplett den Geist aufgibt, haben wir einen Neuen gekauft, und den kaputten in der Hoffnung auf Erstattung zurückgeschickt. Wieder mit Nummer ziehen und warten in der Post. Aber auch da interessiert das keinen. 

Dann mussten wir uns noch um meinen Tolino kümmern, weil der auch kaputt gegangen ist. Ganz stumpf „Tolino 4HD Istanbul“ in Google eingegeben und zack, einen Second Hand Laden gefunden. Der war aber gar nicht so leicht zu finden, weil man natürlich nach einem Shop Ausschau hält. Aber dass das in einem Wohnhaus im dritten Stock in irgendeinem Zimmer ist, mit einem Ikearegal mit hunderten E-Book Readern, damit kann ja keiner rechnen. Aber wir haben ihn ja bekommen. Sogar mit Preisnachlass, weil wir ihm den alten dagelassen haben.

Und dann haben wir noch den Tobi mit Freundin Tine getroffen, den ehemaligen Dirigenten vom Spielmannszug. Der hat auf meinen Whatsappstatus geantwortet, wie lange wir denn bleiben, weil sonst könne man sich ja sehen! Das hat uns echt riesig gefreut, mal wieder Leute aus der Heimat zu treffen. Und er konnte uns sogar noch was von daheim mitbringen. Das war auch schräg, weil da ist dieses Teil vom Gaskocher, das wir jetzt doch lieber dabei hätten, und unendlich weit weg. Und jeden Tag fahren wir weiter davon weg. Und dann besucht einen jemand, und auf einmal ist es da. Hört sich jetzt banal an, aber irgendwie war das ein schöner Moment, dass meine Eltern das noch vor 24 Stunden in der Hand hatten und jetzt bei mir ist. 

Ansonsten haben wir noch einen Ölwechsel für unsere Rohloff-Schaltung gemacht und wollten Sandheringe kaufen. Leider gab es nirgends welche, aber alle haben uns weitergeschickt, weil sie meinten, hier gleich zwei Straßen weiter gibt es einen Laden… nachdem wir gute 10 km Schnitzeljagd hinter uns hatten, sind wir in einem Teppichladen mit Chai gestrandet und haben aufgegeben.

Am Wochenende haben wir uns dann noch zwei schöne Turitage gegeben und sind in aller Herrgotts Früh (es war 9.15) auf den Galata Tower gestiegen, bzw. mit dem Aufzug gefahren und haben uns das Getümmel von oben angeschaut. Sehr schön und empfehlenswert. Danach gab es die Möglichkeit, für umme die Biennale in Istanbul anzugucken und das konnten wir Kunstinteressierten uns natürlich nicht entgehen lassen. Ein bisschen fragwürdig alles, aber soll ja wahrscheinlich auch zur Diskussion anregen.. Naja und wenn man schon mal in Istanbul ist, kann man sich auch einmal ins Hamam begeben und sich abschrubben lassen.. Jau leck kam da ein Dreck runter.. Da hab ich mich echt kurz erschrocken und geschämt. Vorallem meine Füße hat sie bearbeitet, weil sie glaub ich den Sonnenabddruck von den Birkenstocks runterhobeln wollte.. Aber der ist anscheinend für länger eingebrannt. 

Weil wir uns den Verkehrsstress beim Rausfahren nicht nochmal geben wollten, haben wir uns entschlossen, für umgerechnet 6€ pro Person entspannt eine Fähre in den Süden nach Yalova zu nehmen. Und das hat tatsächlich alles so geklappt wie geplant. Traumhaft. Und jetzt sind wir gemeinsam mit dem Benjamin unterwegs nach Kappadokien zu den Ballonen.


EMPFEHLUNGEN DER REDAKTION

  • Galata Tower | wunderschöne Aussicht auf Istanbul, wo man mal sieht, wie groß das Ganze ist. Auf jeden Fall am Morgen, weil sonst steht man ewig an und oben ist die Hölle los
  • Şirin Fırın | Frühstückscafé, zwar ein bisschen verplanter Laden mit lustiger Servierreihenfolge, aber alles wirklich super lecker
  • Arada Café | leckeres Essen für mittags oder abends in schön heimeligem Ambiente
  • Galata Kitchen |  Restaurant für jede Mahlzeit mit vielen Dips, Aufstrichen, Salaten und Brot