TÜRKEI II

05. – 11. NOVEMBER 2019

Das muss ich jetzt chronologisch erzählen, weil sonst wirds wirr. Es ist nämlich wirklich ein Haufen passiert nachdem wir am 5.10. mit der Fähre von Istanbul in den Süden nach Yalova gefahren sind. 

06.11. 

Wir hatten eine echt anstrengende Nacht hinter uns. Ein blöder kläffender Köter stand nämlich vor unseren Zelten. Wie ein bellendes Metronom hat er uns vier Stunden genervt. Aber wos dann hell wurde, hat er sich verzupft. Naja. Dann sind wir losgefahren durch die Dörfer und auf einmal steht oben auf einem Hügel der Enki. Ein Franzose, der auch ein Jahr mit dem Radl unterwegs ist und demnächst von Istanbul nach Malaysien fliegen will. Den haben wir natürlich sofort in unsere Gruppe aufgenommen. Das war auch gut so, weil er mit einer Grippe leicht angeschlagen war und dann auch noch einen Platten hatte. Der Benjamin als Meisteringenieur hat den Schlauch aber in Null Komma Nix ausgetauscht und hatte 15 Min später selber einen. Also nochmal an der Tanke halten und flicken. Sofort haben uns zwei Leute ihre Hilfe angeboten. Der eine, Soner, selbst Radreisender, hat Europa mit Frau und Kind beradelt. Weil er Lehrer ist, hat er uns auch angeboten, am nächsten Tag bei seiner Schule den Kindern unsere Räder zu zeigen. Und wenn wir wollten, können wir auch gerne bei ihm schlafen, weil er sehr aktives Mitglied bei „Warmshowers“ ist. Das ist eine App hauptsächlich für Radreisende, die mal eine Dusche, Übernachtungsmöglichkeit oder Waschmaschine brauchen. Das war allerdings nochmal 20km weiter und dafür hatten wir keine Energie mehr. Also haben wir Nummern ausgetauscht und uns für den nächsten Tag an seiner Schule verabredet. Der andere war Ali, konnte leider gar kein Englisch und war einfach nur interessiert an vier vollbepackten Verrückten, die im November durch die Türkei radeln. 

Nachdem alles repariert war, haben wir nach einem Kilometer (und einem Tee) einen großen umzäunten Fußballplatz gefunden, der anscheinend schon länger nicht mehr bespielt worden war. Aber der Untergrund war trotz des Unkrauts natürlich perfekt fürs Zelten. Als wir in der Dunkelheit schon mitten am Kochen waren, kam auf einmal ein Security mit Taschenlampe und wollte uns rausschmeißen. Ist ja ein Fußballplatz und da kann man doch nicht zelten. Er hat auch gar nicht mit sich diskutieren lassen, konnte auch kein Englisch, aber Tom und Enki sind ihm trotzdem nochmal nachgelaufen. Benjamin und ich haben weitergekocht in der Hoffnung, dass die zwei das mit ihrem Charme schon regeln. Zack gehen die Scheinwerfer an. Wie auf einer Party, wo zum Rausschmeißen das Licht angeht. Scheiße.. da hatten wir natürlich überhaupt keine Lust drauf, in der Kälte alles wieder zusammenzupacken. Wir haben es erstmal ignoriert, als sie wieder zurückkommen, umringt von fünf anderen Leuten. Unter anderem mit Ali von der Tanke. Tom grinst und sagt: „Alles gut, wir machen jetzt Fotos..“ Hä? Aber keine Zeit für Fragen, also alle schön aufgereiht hingesetzt, Ali macht ein Foto, es wird noch viel bedankt und Hände geschüttelt und wir dürfen bleiben. Tom hat dann erzählt, dass Ali einfach aus der Dunkelheit mit dem Moped aufgetaucht ist und den Security beschwatzt hat, dass das schon so passt. Dann kamen auch noch andere aus dem Nichts, die sich ebenfalls für uns eingesetzt haben. Da hatte der arme Security überhaupt keine Chance mehr. Und dann wurde er auch noch von Ali ins Foto gesetzt. Der ist nämlich eine Art Journalist (so haben wir das zumindest verstanden) und wir natürlich gefundenes Fressen. Wir wurden auch kurz interviewt, aber das ist schwierig so komplett ohne Sprachkenntnisse. Den Artikel würden wir ja gerne lesen.. aber erstmal freuen, dass wir hier bleiben können.

07.11.

Am nächsten Morgen hocken wir beim Frühstück, als Ali wieder auftaucht. In türkischer Manier haben wir ihm natürlich sofort einen Tee angeboten und versucht, uns mit ihm zu unterhalten. Aber mehr als Namen und Instagram austauschen und „bicicleta Alemania to here“ ist dabei irgendwie nicht rumgekommen. Aber nett wars trotzdem. Dann sind wir aufgebrochen zu Soners Schule. Auf einmal winkt jemand von einem Gemüsestand an der Straße: der Ali wieder, der uns auf einen Tee einladen wollte. Aber wir mussten ja zur Schule, also haben wir abgelehnt. Dort angekommen, gabs erstmal Tee auf dem Pausenhof. Man sieht, wir trinken viel Tee. Die Kinder haben uns mit Distanz beobachtet, bis Soners Frau, ebenfalls Lehrerin, einen Globus geholt und gezeigt hat, woher wir kommen und wohin wir wollen. Die Schüler sind dann ganz interessiert um unsere Räder geschlichen und haben gerätselt, was für was gut ist. Die waren echt überraschend respektvoll zu unseren Gefährten. Das haben wir unterwegs auch schon anders erlebt. Da wird gleich alles zerrupft, wenn man nicht aufpasst. Aber vor den Lehrern sind sie dann doch alle ganz brav. 

Später haben wir unsere Frisbee ausgepackt und die ganze Meute eine Stunde lang über den Hof gejagt und uns gewundert, warum sie nicht wieder in ihre Klassen müssen. Irgendwie sind wir bei den Pausenzeiten nicht ganz durchgestiegen. Es kam immer mal wieder ein Kinderlied aus den Lautsprechern, dann sind welche gegangen und gekommen und es sah so aus, als macht jeder was er will.. Naja, wird schon so seine Richtigkeit haben. Mit den Mädls hab ich noch das Hüpfspiel auf dem Boden gespielt, bis eine zu mir kommt, mich am Arm zieht und zu den Jungs deutet. Benjamin und Tom (Enki hat in der Sonne die Grippe auskuriert) standen nämlich mit dem Pinsel an den Fenstern und haben die Gitter oben angemalt. Und weil ich ja so groß bin, hab ich auch direkt einen in die Hand gedrückt bekommen. Das musste der Lehrer schon ausnutzen, wenn da mal so Riesen vorbeikommen. Also haben wir zwei Stunden mit den Kindern ihre Schule verschönert und wurden auch direkt weitergeleitet, wenn wir bei einem Teil fertig waren. Das war voll süß, weil sie irgendwie mit uns kommunizieren, sich aber vor den anderen nicht zum Affen machen wollten. Deswegen haben sie ihre zwei Sätze Englisch ausgepackt, aber bei Rückfragen sind sie kichernd weggelaufen. Zum Abschied gabs noch eine Gruppenumarmung von den Mädchen und wir sind von vielen winkenden Händen verabschiedet worden.

Dann sind wir zu Soner heimgefahren. Der hatte am Vortag eine Party und hat uns mit lauter übriggebliebenen Leckereien begrüßt. Unter anderem mit einem richtig guten Käsekuchen! Das kam natürlich unerwartet und wir haben uns tierisch gefreut, so ein Stückchen Heimat in der Türkei serviert zu bekommen. Soner ist auch ein Radreisender, der schon einige Bücher veröffentlicht hat und im türkischen Raum eine Art Berühmtheit unter den Radlern ist. Das waren echt schöne Gespräche und er hat natürlich auch die Bedürfnisse verstanden, die man so als Radler hat. Wäsche waschen, warm duschen, Salz, Klopapier und Spülmittel auffüllen.. Ach das war schon schön und wir sind glücklich eingeschlafen.

08.11. 

Enki hat sich nach der warmen Dusche und viel frischem Ingwertee mit Honig gut erholt und haben uns nach einem reichhaltigen Frühstück feriggemacht. Leider mussten wir uns aber am Ende der Straße von Enki trennen, weil er wieder zurück nach Istanbul wollte, um seinen Flug nach Malaysien zu bekommen. Also haben wir noch ein Abschiedsfoto gemacht, als jemand Benjamin von hinten in den Nacken tippt. Der Ali wieder. Also noch ein Foto mit Ali, der anscheinend überall auftaucht und dann konnten wir weiterfahren. Das war eine sehr schöne Strecke und am Abend haben wir einen schönen Olivenhain gefunden, in dem wir schlafen konnten. Da war auch ein junger Hund, der uns gefolgt ist. Erst war er ganz schüchtern, aber im Laufe des Abends kam er immer näher und hat sich am Ende neben Benjamins Zelt gelegt und uns bewacht. Wir haben ihn Wilbert getauft.

09.11. 

Weil Wilbert gar so süß war, ist es uns natürlich schwer gefallen, ihn so klein, süß und tapsig zurückzulassen. Aber wir haben uns am Abend mit dem Hakan in Bilecik verabredet. Der ist ein radbegeisterter Freund von Soner und wir wurden quasi weitergereicht. Also sind wir zu der Adresse gefahren, die wir bekommen haben und waren überrascht, als der Hakan auf halbem Weg mit Warnweste winkend auf die Straße hüpft. Wir waren noch garnicht richtig abgestiegen, da wurden wir schon positioniert, ein Typ mit Kamera kam, und wir haben Fotos mit verschiedenen Personen gemacht. Dann erst haben wir erfahren, dass er uns mit einem Besuch im Heimatmuseum überraschen wollte, für das wir kurz vor Ladenschluss eine Exklusivführung bekommen haben. Bilecik ist nämlich historisch sehr wichtig, weil es der Geburtsort von Osman Ghazi, dem Gründer des Osmanischen Reiches, ist und dann dessen erste Hauptstadt 1299 wurde. Wieder was gelernt. Danach ging es mit dem Radl direkt weiter zum Uhrturm der Stadt, wo eine Kollegin von ihm uns auf deutsch die Geschichte des Turms erzählt hat. Um ca. 1920 hat jemand ca. 120 Uhrtürme in verschiedenen Städten der Türkei errichtet, um den Menschen die Möglichkeit zu geben, die Uhrzeit zu erfahren. Bis dahin hat sich noch alles nach dem Ruf des Muezzin gerichtet. Und wieder was erfahren. Wir haben im Dämmerlicht nochmal für ein paar Fotos posiert und  sind dann zu Hakans Herberge gefahren. Dort konnten wir uns in dem ehemaligen Restaurant seiner Eltern ausbreiten und kurz verschnaufen. Er meinte, dass wir echt Glück haben, genau zur richtigen Zeit nach Bilecik zu kommen und dass es noch eine große Überraschung gibt. Also haben wir uns so schick wie möglich gemacht.. haha.. und sind mit dem Auto erstmal Abendessen gefahren. Dann ging es zur Stadthalle, wo wir auf einmal zwischen wirklich schicken Leuten standen. Zu Ehren Atatürks wird dort jedes Jahr am 09.11. ein Musical aufgeführt, das dieses Mal unter der Leitung von Volkan, dem „Sultan of Dance“ ehrenamtlich entstanden ist. Und wie auch immer, Hakan kennt Gott und die Welt, hat er es geschafft, uns drei Tickets zu besorgen. Wir wurden vielen Leuten vorgestellt, haben viele Fotos vor Atatürks Bild gemacht und dann ging schon die Aufführung los. Da waren wir echt kurz überfordert, weil so viel auf einmal passiert ist und wir völlig überwältigt waren, was der Hakan alles für uns möglich gemacht hat!! Als die Vorstellung vorbei war, kam er direkt zu uns und meinte, wir müssten den Startänzer kennenlernen. Also hat er uns die Stufen runtergezogen, ist auf die Bühne und hat uns den Volkan vorgestellt. Der gibt uns die Hand und sagt „Habedere“. Und wir schauen wie ein Auto.

10.11. 

Mit ausschlafen und den letzten Abend verarbeiten war leider nix, weil es in der Früh direkt los ging Richtung Rathausplatz, wo die Ehrung Atatürks stattfand. Inklusive Schweigeminute um 9.05 Uhr, die Uhrzeit, zu der der Gründer der modernen Türkei 1938 gestorben ist. Zu seinen Ehren soll das Land eine Minute still stehen. Das war alles super interessant zu sehen und erleben, aber wir haben uns mit unseren leuchtenden Outdoor-Klamotten zwischen den ganzen dunkel gekleideten Menschen wie bunte Hunde gefühlt. Immerhin hatte auch Hakan aus Solidarität eine Warnweste an. Nach der Schweigeminute wurde die Hymne geschmettert. Anschließend wurden große Bilder von Atatürk enthüllt, die eine neue, nach ihm benannte Straße säumen. Danach ist Hakan direkt mit uns zum Bürgermeister gegangen und hat uns bei ihm auch noch vorgestellt. Wir haben uns gefreut, dass wir endlich unser von ihm gelerntes „Memnun oldum“ (schön, dich kennenzulernen) auspacken konnten. Natürlich wurden auch wieder Fotos gemacht und Hände geschüttelt. Wir waren echt völlig überwältigt, bei diesen ganzen Festivitäten dabei zu sein und von Hakan und einer Freundin auch erklärt zu bekommen, warum was grad passiert. Wenn wir da mitten auf der Straße gewesen wären, wenn die Autos stehenbleiben und alle Sirenen angehen.. weiß nicht, was wir da gemacht hätten. 

Weil es noch früh war, war noch genug Zeit, zur Stadthalle zu fahren und die Gedenkveranstaltung anzuschauen. Mit Auszügen aus seinen Reden und einem Chor, der unter anderem Atatürks Lieblingslied gesungen hat. Und weil der Tag schön sonnig war, haben wir danach auch noch ein bisschen ganz alte Geschichte angeguckt und sind zu einer Moschee und einem Freiluftmuseum über die Sultane des osmanischen Reiches gefahren. Da konnte ich mir leider überhaupt keine Daten merken, außer dass die Sultane nicht wie bei uns Ahmet der Zweite genannt werden, sondern zweiter Ahmet. Naja immerhin. 

Vollgestopft mit neuem Wissen, Eindrücken und Dankbarkeit haben wir uns von Hakan verabschiedet und sind in Richtung Söğüt aufgebrochen. Da wollten wir eigentlich noch durchfahren und danach irgendwo campen, aber auf einmal standen wir in einer Sackgasse. Auf der Map sah es so aus, als ob es wieder auf die Hauptstaße führt, aber zwischen den beiden Straßen waren 20 Höhenmeter Geröll.. Die Städte sind immer auf steilen Bergen gebaut, und um wieder auf die Hauptstraße zu kommen, hätten wir zwei Kilometer und 100 Höhenmeter runter gemusst, um dann nochmal alles parallel hochzufahren.. und es wurde dunkel, kalt und wir waren fix und fertig. Die Stimmung war.. sagen wir angespannt. Wo wir da hilflos rumstanden, kam ein Mann, der gefragt hat, wo wir hinwollen. Wir haben erst den Hang angeschaut, dann unsere Räder und gefragt, ob wir in seinem Garten zelten dürfen. Aber er hat direkt am Fenster geklopft, mit seiner Mama geredet und wir waren für die Nacht einquartiert. Da gab es auch gar keine Widerrede. Sie hat uns dann noch so richtig bekocht mit wirklich extrem leckeren Sachen und wir waren mal wieder völlig überwältigt von der Gastfreundschaft. Leider konnte keiner von ihnen Englisch, aber verstanden haben wir uns trotzdem ganz gut. Vorallem, weil da noch die 4-jährige Tochter von unserem Retter Serkan war, die uns anfangs nur skeptisch angeschaut hat, aber später mit uns durch die ganze Wohnung getollt ist. Als die Eltern dann zu Bett gegangen sind, sind wir mit Serkan, seiner Schwester und den Partnern noch ins Erdgeschoss zum Nüsse und Kekse essen gegangen. Da haben wir auch gelernt, wie man die Sonnenblumenkerne, die wir immer haufenweise am Straßenrand sehen, richtig knackt und einem Profi zugeschaut, der die Dinger wie eine Maschine bearbeitet hat. Geschlafen haben wir wie Steine in extra für uns hergerichteten, weichen, warmen Betten. Unglaublich wie lieb die Menschen sind!!

11.11. 

Und unglaublich wie lecker das Frühstück wieder war!! Alles selbstgemacht mit Zutaten aus dem Garten. Da konnten wir dann richtig gut gesättigt mit vereinten Kräften die Räder den Hang hochschieben und wieder in die wunderschöne Landschaft starten. 

Die Nacht haben wir im Fahrradclub kurz vor Eskişehir verbracht. Den hat uns der Hakan empfohlen und ist im Sommer eine traumhaft schöne Oase mit Werkstatt, Küche und riesigem Garten, wo man zelten kann. Dafür wars jetzt leider zu kalt, aber es gab auch einen Raum mit Betten und einen Holzofen, mit dem wir es uns wunderschön heimelig gemacht haben. Und das ganze ist für Umsonst. Leider keine Ahnung, wie sie sich finanzieren, weil keiner Englisch konnte. Das einzige, was sie wollten, war ein Eintrag ins Gästebuch.


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