TÜRKEI IV

26. NOVEMBER – 05. DEZEMBER 2019

Eigentlich wollten wir von Göreme mit dem Radl nach Kayseri fahren, was mit einer Strecke von 78km eine realistische Tagesetappe ist. Allerdings haben wir nicht mit dem gestörten Gegenwind nach 5km gerechnet. Erst kam er noch von der Seite, dass es uns manchmal mitten auf die Straße geweht hat. Aber als wir dann nach einer Kurve den Wind direkt von vorne kriegen, sind wir mit 8km/h weit unter der nötigen Durchschnittsgeschwindigkeit, um die Stadt noch bei Tageslicht zu erreichen. Mehr oder weniger optimistisch haben wir uns noch einen Berg hochgequält, aber das war wirklich wie im Windkanal. Habt ihr euch schon mal ins Gesicht geföhnt und dann versucht, normal zu atmen? So war das. Oben auf dem Berg ist dann auch die Hoffnung gestorben, dass es vielleicht auf der anderen Seite besser wird, also haben wir auf blöd einfach den Daumen rausgehalten und gehofft, dass irgendwas Positives passiert. Und tatsächlich, das erste Auto, das mehr als ein PKW ist, hält an und hat einen komplett leeren Laderaum und Platz für drei vollgepackte Fahrräder. Allerdings nicht für drei Leute vorne, also haben sich Benjamin und ich hinten in die Dunkelheit gehockt und gegeneinander Handyspiele gezockt. Kurz vor Kayseri hat er uns rausgelassen, wir haben uns tausendmal bedankt und wir konnten die letzten 15 Kilometer in Angriff nehmen. Das war aber immer noch weiter und höher als gedacht und im Endeffekt haben wir aus dem letzten Loch gepfiffen, als wir in dem Apartmentkomplex angekommen sind. Das war eine seltsame umzäunte Siedlung mit Portier und Frühstücksraum.. irgendwie wie betreutes Wohnen. Aber sehr gutes Internet und wir konnten uns mal wieder in aller Ruhe dem Waschen, Telefonieren, Blog schreiben und kochen widmen.

Nach vier Organisationstagen mit Besuch im Einkaufszentrum, Zugticketkauf und allerlei anderem sind wir im saukalten, strömenden Regen zum Bahnhof gefahren. Zum Glück gabs trotz Umbauarbeiten einen Wartecontainer mit Heizlüfter. Da haben wir uns dann erstmal ausgebreitet, um unsere ganzen Sachen wieder zu trocknen, weil wir Angst vor einem kalten Zugabteil hatten. Aber der Zug, als er dann mit 45min Verpätung ankam, war der Hammer. Ein leerer Gepäckwaggon, wo unsere Räder ohne Probleme Platz hatten und riesige Business-Class Sitze mit Beinfreiheit ohne Ende. Traumhaft. Da kann man dann auch die 17 Stunden Zugfahrt ganz gut überstehen. In Tatvan im Schneegestöber angekommen sind wir erstmal zum Fährhafen gefahren, weil uns keiner Auskunft geben konnte, ob eine Fähre nach Van fährt oder nicht. Die Sache ist nämlich die: Wir wollen den Zug nach Teheran nehmen, der fährt aber von Van. Und zwischen Tatvan und Van liegt der Van-See. Und da gibt es eine Fähre, auf die der Zug fährt, und zwischen den beiden Städten pendelt. Eine normale Zugverbindung über Land gibt es nicht. Und weil wir uns das natürlich nicht entgehen lassen wollen, wie ein Zug auf ein Schiff und das Schiff auf einem See zwischen schneebedeckten Bergen fährt, sind wir da mal hin. Direkt an der Pforte wurden wir aber gleich vom Wachmann rausgezogen, der uns auf einen Tee in sein Pförtnerhäuschen eingeladen hat. Zum Glück, weil draußen wars schweinekalt. Der bis an die Zähne bewaffnete Typ hat erzählt, dass sie aufgrund des Wetters nicht sagen können, wann und ob die nächste fährt und wir sollten lieber einen Bus nehmen. Wir haben Nummern ausgetauscht und sind ins Hotel gefahren.

Am Abend haben wir beim Essengehen eine Lehrerin und eine Ärztin kennengelernt, die wegen der sogenannten „East-Duty“ in einem Vorort von Tatvan gearbeitet haben. „East-Duty“ bedeutet, dass Leute vom öffentlichen Bereich für fünf Jahre in den Osten der Türkei versetzt werden. Es herrscht nämlich eine hohe Diskrepanz zwischen dem westlich geprägten, gut entwickelten Westen und dem eher ärmlichen, unterentwickelten Osten, wozu auch Kurdistan zählt. Fünf Jahre ist echt eine lange Zeit und in Tatvan ist wirklich nicht viel los. 

Um uns aber vom Gegenteil zu überzeugen, haben wir am nächsten Tag einen Taxifahrer gechartert, der uns die schöne Landschaft gezeigt hat. Ich hab nämlich einen Artikel über heiße Quellen in Budakli gefunden, wo die Rinder im Winter baden gehen. Die Bilder sahen auch sehr eindrucksvoll aus, also haben wir uns auf den Weg in die Pampa gemacht. Von der Ferne haben wir schon die dampfenden Flächen gesehen und waren sehr gespannt. Und mal wieder völlig desillusioniert, als wir angekommen sind. Alles voller Müll. Aber nicht nur ein paar Plastikflaschen sondern wirklich haufenweise Abfall. Um die heiße schwefelfarbige Quelle wurde eine Art Becken gebaut und nebenan war früher anscheinend auch mal eine Art Badehaus. Das überschüssige warme Wasser fließt in einen 20m entfernten Tümpel. Zwischen dem treibenden Müll haben wir auch ein paar Schildkröten gesehen und tatsächlich gehen auch die Rinder rein. Aber so, wie wir das in dem Artikel gelesen haben, dass die Hirten mit ihren Tieren im Wasser plantschen, war es nicht. Da geht kein Mensch freiwillig rein. Das ist so unglaublich schade, weil es vor ein paar Jahren sicherlich traumhaft schön war, aber niemand kümmert sich einfach um den Abfall, den er mitbringt. Der wird da einfach hingeschmissen und vergessen und so machen es täglich die Badebesucher. Und das Badehaus nebenan ist vollgeschissen, stinkt und verfällt vor sich hin.

Wären aus dem Becken nicht grad Leute gekommen, hätten wir uns auch eher nicht reingetraut in die orangene Brühe. Aber so haben wir uns doch in unsere Badesachen geschmissen und in den heilenden Schwefeldämpfen gesuhlt. Der Taxifahrer hat uns nur lachend beobachtet und gemeint, wir wären verrückt. 

Danach sind wir noch so weit es ging auf den Nemrut Krateri raufgefahren. Das ist ein riesiger Vulkankrater mit See, der traumhaft schön sein soll, aber leider hat uns der Schnee auf der Straße einen Strich durch die Rechnung gemacht. Hätten wir mehr Zeit in Tatvan gehabt, wären wir vielleicht weitergewandert, aber so haben wir ein paar schöne Fotos von dem wolkenverhangenen Tal und der schönen Landschaft gemacht und sind wieder zurück ins Hotel gerast.. mit 140 durch die 50er Zone. Kein Scheiß.  

Die Fähre ist immernoch nicht in absehbarer Zeit gefahren, also sind wir mit dem Bus nach Van aufgebrochen. Mit den Rädern auch kein Problem, meinten sie in der Verkaufsstelle, deswegen für 30 Lira (ca. 4,80€) Tickets gekauft. Um 11 Uhr kam der Bus und bleibt mitten auf der zweispurigen Straße stehen. Schnell einladen, dachten sie, aber dass das halt mit den Rädern und den Taschen nicht ganz so fix geht, haben sie nicht verstanden. Alle wollten anpacken und helfen. Das war ja auch lieb gemeint, aber man kann das nicht einfach wild reinschmeißen. So robust unsere Räder auch sind, muss man sie doch an den richtigen Stellen anheben und das interessiert natürlich keinen. Auf der anderen Spur sind die Autos einfach unbeirrt weitergefahren und haben sowohl uns, als auch die Räder gestriffen. Es war komplettes Chaos, weil auch immer mehr Leute zum Helfen kamen, aber das einzige, was wir gebraucht haben, war kurz Ruhe, Überblick verschaffen und dann mit System zügig die Räder aufeinanderschichten. Aber sobald man sich umgedreht hat, schiebt wieder irgendjemand irgendwo und reißt Kabel ab, verdreht die Kette, zerkratzt oder verbiegt alles. Boa da hätte ich mich fast kurz vergessen. Benjamins Rad konnten wir zum Glück einigermaßen ruhig in den Mittelgang stellen und dann ist der Bus auch schon losgefahren.. mit einem absoluten Scheißgefühl, weil wir überhaupt nix mehr gucken oder sichern konnten. Und die fahren ja weder gemütlich dahin, noch sind die Straßen eben. Tom ist nochmal zum Fahrer und hat nach einigem Beschwatzen eine Pause rausgehandelt, wo wir alles nochmal überprüfen konnten. Erst wollten sie auch nochmal 30 Lira pro Rad haben, aber da ist er eisern geblieben. Zum Glück hat alles einigermaßen gepasst und wir konnten noch ein paar Puffertaschen dazwischenpacken. Dann war auch die Weiterfahrt entspannt. Beim Ausladen waren wieder sofort fünf Leute zur Stelle, aber die haben unserem Gesicht schon angesehen, dass sie lieber fern bleiben wollen. 

Zum Hotel war es dann nicht weit, und wir konnten uns auf die Suche nach vegetarischem Essen machen. Hat fast eine Stunde gedauert, weil man immer Hühnchen angeboten bekommt, wenn man nach „no meat“ fragt. Oder weißen Reis. Naja, wir sind ja doch noch fündig geworden. 

Am nächsten Tag ging die Weiterfahrt nach Teheran ja erst am späten Abend, also hab ich den Tom noch überredet, die Teppichläden abzuklappern und haben tatsächlich ein wunderschönes Exemplar gefunden. Meine Eltern kommen uns ja über Weihnachten im Iran besuchen, und die haben sicher noch ein klitzekleines Plätzchen im Koffer frei. Und irgendwie ist das ja schon schade, dass man so viele wunderschöne Sachen sieht und nix kaufen kann, weil man es dann beim nächsten Berg verflucht.

Um 21.30 Uhr ging es dann zum Bahnhof. Wir waren schon ein bisschen aufgeregt, weil wir von mehreren Quellen erfahren haben, dass man im Transasia-Express keine Fahrräder mitnehmen darf. Allerdings haben es doch einige irgendwie geschafft. Das Problem ist, dass man nirgendwo verlässliche Auskünfte bekommt. Weder über Abfahrzeiten, Verspätungen oder ob der Zug überhaupt fährt. Aber zum Glück hat uns da der Österreicher Johannes von der inoffiziellen Seite der iranischen Bahn (iranrail.net) über Telegram sehr kompetent und geduldig unterstützt, weil ohne ihn wären wir aufgeschmissen gewesen. Man bucht halt nicht so leicht ein Ticket und klickt auf Fahrradmitnahme. Fängt ja schon damit an, dass wir aus irgend einem Grund nicht online bezahlen konnten..

Also sind wir mit unserem viel zu teuren Ticket für 75€ p.P.  (wir haben erfahren, dass man es am Schalter für 25€ bekommen hätte, aber woher soll mans wissen und wir wollten nicht riskieren, dass der Zug dann voll ist) zum Zugbegleiter. Der guckt das Ticket und unsere Räder an und schickt uns nach links zu einem andern. Der macht das gleiche, bis wir nach vier Waggons und Leuten am Ende des Zuges standen. Der konnte uns ja nicht weiterschicken und weil wir keine Lust auf Diskussion hatten, haben wir sie einfach eingeladen. Natürlich möglichst platzsparend, aber die drei Räder haben dann doch eine Toilette versperrt. Nach einigem „ihr könnt die Räder doch hier ins leere Abteil stellen“, wurde es aber abgenickt und wir konnten unsere Betten im Schlafabteil beziehen. Das ist jetzt die abgespeckte Version, weil jeder einzelne Zugbegleiter noch seinen Senf dazu geben musste und natürlich niemand geglaubt hat, dass man die Räder in den engen Gängen nicht ums Eck bekommt. Egal ob aufgestellt, rückwärts oder mit verdrehtem Lenker. Mussten wir natürlich alles zeigen. Aber gut, jetzt standen sie ja sicher und die Fahrt konnte losgehen Richtung Teheran.

Dabei verlässt man ja irgendwann die Türkei, also ist um 1.00 Nachts der Zug stehen geblieben, alle mussten raus und offiziell ausreisen. Dann alle wieder rein, 5 km weiterfahren und alle wieder raus. Samt Gepäck. Bei unseren sieben Taschen pro Person haben wirs drauf ankommen lassen und sind nur mit zwei Alibi-taschen in die Wartehalle. Draußen hats weihnachtlich geschneit und war sau kalt. Und inzwischen 3 Uhr.. Der Zuweiser bedeutet uns, uns hinzusetzen und nicht wie alle anderen anzustellen. Wir sollen warten, bis wir aufgerufen werden. Comfort-Check-in hat er es genannt. Also gucken wir den anderen zu, wie sie gefilzt und nach Alkohol durchsucht werden. Das ist anscheinend die häufigste Schmugglerware. Nach einer Ewigkeit werden wir geholt, Pass kontrolliert und dürfen zurück in den Zug. Die Taschen hat niemand angeschaut. Was sollten die drei Penner schon groß schmuggeln.. Und ab ging die Fahrt weiter nach Teheran!!


EMPFEHLUNG DER REDAKTION

  • Nemrut Krateri | haben wir leider nicht selbst erlebt, aber nur gutes gehört zum Wandern oder für Skitouren