OMAN V ENDE

16. – 23. März 2020

16. MÄRZ

Dann gings wieder weiter mit dem Rad. Der wenige Schlaf hat uns aber echt zugesetzt und der Gegenwind hat sein übriges getan. Wir hatten echt keinen Bock mehr und waren froh, dass wir in der nächsten Stadt Sur ein Hotel gefunden haben. Während wir von Zuhause Bilder von leeren Supermarktregalen kriegen, waren hier im Lulu Supermarkt die Nudeln im Angebot und zusammengepackt im 5kg Beutel! Aber können wir ja nicht kaufen, weil kein Platz. Wir sind die schlechtesten Hamsterer der Welt. Im Hotel angekommen wussten wir nicht, ob das eine Hygienemaßnahme war, oder ob sie einfach gern im Qualm sitzen, aber das kleine Foyer war komplett eingeräuchert. Schön mit Weihrauch und Räucherstäbchen. Und Husten will man ja nicht, sonst wird man gleich schief angeguckt und im schlimmsten Fall noch rausgeschmissen. Aber wir konnten es uns verkneifen und waren froh um ein Bett und eine Dusche in dem sonst zum Glück rauchfreien Hotel.

17. MÄRZ

Jetzt gehts los mit der Verzweiflung. Irgendwie können wir überhaupt nicht einschätzen, was das mit dem Corona ist. Daheim spielen alle verrückt und wir sitzen hier im Paradies, aber merken auch langsam, dass die Leute distanzierter werden. Also erstmal Botschaft und Flughafen anrufen, ob die mehr wissen, aber jeder sagt was anderes. Flüge sind noch nicht gestrichten, aber schaut irgendwie weltweit grad ned so gut aus.. Außerdem war die Frage, ob wir in einer werdenden Pandemie überhaupt in Afrika sein wollen. Weil uns von den offiziellen Stellen keiner weiterhelfen konnte, haben wir noch mit unseren Familien telefoniert. Meine Mama meinte auch: “Wenns da schön ist, bleibts!! Hier gibts nur leere Regale, alle sind völlig hysterisch und es ist Lockdown. Hier verpasst ihr nix.”
Also waren wir natürlich erstmal beruhigt und haben uns auf den Turtle Beach gefreut. Hat natürlich mal wieder länger gedauert als gedacht und es ist dunkel geworden. Mein Licht ging aus irgend einem Grund auch nicht mehr, also sind wir im Zappendusteren auf Seitenstraßen Richtung Meer gefahren. SeitenSTRASSE kann man das aber nicht nennen. Wenn im Sand nicht geteert ist, bleibt es Sand und echt nicht geeignet für Räder. Wir wollten aber unbedingt die Babyschildkröten sehen, also haben wir uns durchgekämpft und den Strand auch erreicht. Leider garnix mit irgendwelchen coolen Tieren. Ziegen und Kamele sind inzwischen Alltag geworden auch wenn wir sie manchmal immernoch witzig finden.

18. MÄRZ

Scheißtag. Scheißneuigkeiten. Und Schildkröten haben wir natürlich auch keine gesehen. Der Strand war zwar eigentlich echt traumhaft, aber mit der ganzen Ungewissheit schwer zu genießen, also aufbrechen und weiterfahren. Die ganze Zeit waren wir nur am diskutieren, wie es jetzt weitergehen soll. Ich war natürlich auf “ach komm, wir sitzen das aus, wir sind doch autark, was soll schon groß passieren. Die übertreiben doch alle und wir sind wahrscheinlich genau diejenigen, die am allerwenigsten Kontakt zu Menschen haben.” Tom war eher auf der Schiene: Krankenkasse anrufen, Botschaft kontaktieren und alle Beiträge und Nachrichten verfolgen. Also haben wir in der Mittagspause einen “Fest und Flauschig” Podcast mit dem Virologen Drosten von der Charité in Berlin gehört. Da hab ich beim Einkaufen auch das erste Mal die Luft angehalten, als ich vor dem Kassierer stand und mir nach dem Einkaufen die Hände gewaschen. Nach dem Essen hab ich mein Licht repariert. Die Lötverbindung hat sich gelöst und ich musste es einfach nur wieder reinstecken und neu isolieren. Sehr chillig. Unchillig war allerdings die Prognose vom Drosten. Es ist eine Pandemie und es wird nun mal die ganze Welt betreffen und auch nicht mal schnell vorbeigehen. Ziemlich brutal hat sich das alles angehört. Und unwirklich, wie wir da so einsam in der beigen Landschaft hocken.


Weil wir es immernoch nicht aufgegeben haben mit den Meeresschildkröten sind wir zum nächsten Turtle Beach weitergefahren und haben unser Nachtlager in einem Pavillon aufgeschlagen, die alle 200m am Strand entlang gebaut waren. Spät Abends sind wir dann mit unseren Taschenlampen den Strand auf und abgelaufen in der Hoffnung, eine Eiablage live zu erleben, aber leider hatten wir wieder kein Glück damit. Nur eine große tote Schildkröte mit aufgeknacktem Panzer und haufenweise weißen Krebsen, die vor unserem Lichtkegel geflohen sind..


Und eine richtig lustige Ausparksituation. Naja ausparken.. Also da war ein Jeep mit Mann und Frau. Sah aus wie ein romantisches Date mit Babyschildkröten gucken. Natürlich sind sie nicht auf dem Parkplatz stehen geblieben sondern mit dem Geländewagen direkt auf den Strand. Wenn man schon so einen Karren hat, dann läuft man nunmal nicht 100m durch den Sand. Jetzt war das aber so locker, dass sie sich so richtig eingegraben haben. Allrad mit allen 4 Rädern immer tiefer. Und nicht langsam Gas geben und rausschuckeln sondern Vollgas. Nach einiger Zeit kam ein zweiter Jeep, sieht das Dilemma und fährt vor den ersten hin. Zum Glück hat er ein Seil dabei, das sie dann an die Anhängerkupplung und die Stoßstange knoten. Aber nicht auf Zug sondern schön locker mit 20m Spiel. Der zweite Jeep gibt Vollgas, springt vor, das Seil spannt und reißt mit lautem Sirren. Der erste Jeep hat sich nichtmal auch nur bewegt. Shit. nicht funktoniert. Also nochmal. Zweiter Jeep setzt zurück, Seil wird wieder zusammengeknotet, diesmal die Seillänge zwischen den Autos verlängert. der Vorne gibt wieder Gas, Sand spritzt in alle Richtungen, Seil spannt, reißt und der vordere Springt 5 Meter vor. Er will wieder zurücksetzen, allerdings ist der Sand inzwischen von dem ganzen Aufgewühle so locker, dass er sich direkt vor dem ersten auch festfährt. Jetzt stehen sie da gemeinsam. Die Frau von dem Date sitzt währenddessen gelangweilt auf dem Beifahrersitz, beleuchtet vom Displays ihres Handys. Tom und ich sitzen mit einem Glas Nutella im Dunkeln im Sand und sind gespannt. Wie geht es jetzt weiter? Ein dritter Jeep kommt!! Und wieder das gleiche Spiel mit dem Seil. Funktioniert natürlich wieder nicht. Als der dann nach drei Versuchen auch feststeckt und sie Angst haben, dass am Schluss das ganze Dorf im Sand hockt (nicht vergessen, ist ein geschützter Schildkröten Eierablegestrand, den sie grad mit ihren 150PS umgraben), fangen sie an, sich gegenseitig zu schieben. Wir haben inzwischen auch schon angefangen, Latten oder Stangen zu suchen, die man als Unterlage verwenden könnte. Aber tatsächlich schaffen sie es mit vereinten Kräften, und nach 15 min sind alle wieder auf der befestigten Straße und wir auf dem Weg zu unserem Nachtlager. Und wundern uns, warum da keine Schildkröten kommen…

19. MÄRZ

Schlimmster Tag überhaupt. Aufgewacht und nur geschrien, geheult, ausgerastet, gestritten und diskutiert, was jetzt werden soll. Die Tage davor war es immer ein Hin- und Her. Tom war für heimfahren, ich für weiterfahren. Mal hab ich gewonnen und dann sind wir wieder aufs Radl, mal hat er gewonnen und wir sind stehen geblieben. Jetzt wollte er aber garnicht mehr weiter. Und ich konnte es auch irgendwie verstehen, aber ich wollte es trotzdem nicht wahrhaben. Vorallem, als ob ich jetzt wegen so einem dummen Scheiß meinen ganzen Lebenstraum abbrech!! Wir haben uns vor der Reise viel überlegt, was passieren kann, dass wir wieder nach Hause müssen: richtig krank werden, Krieg in irgendeinem Land, komplett ausgeraubt, Bein brechen… alles mögliche. Aber dass die ganze Welt wegen einer Grippe stehen bleiben soll.. des is doch lächerlich. Als dann aber auch noch die Meldung kam, dass der Oman sämtliche Moscheen schließt und damit unser Zugang zu Trinkwasser dahin ist, wurde es wirklich ernst. Das war das Schlimmste Zusammenpacken überhaupt, weil ich wusste, dass es jetzt vorbei ist. Wir buchen einen Flug und fliegen nach Hause in den Lockdown. In einem Hotel haben wir uns Internet geholt, nochmal die Botschaft kontaktiert und zwei Tickets (die letzten verfügbaren) gebucht. 700€ für uns beide. Ich dachte echt, ich spinn, wie viel das kostet. Jetzt im Nachhinhein war das echt noch ein Schnäpper. Die Fluglinien wussten ja, was auf sie zukommt und haben natürlich verrückte Summen verlangt. Den Leuten ist ja garnix anderes übrig geblieben, als zu zahlen. Naja egal.
Auf dem Weg zurück, den wir ja am Vortag schon geradelt sind, haben wir versucht, die Autos aufzuhalten, damit sie uns mitnehmen. Wir mussten ja jetzt in 4 Tagen fast 300km über Berge wieder in die Hauptstadt. Und davor noch die Räder verpacken. Inzwischen war aber Trampen leider auch verboten und wir hatten echt ein bisschen Panik. Aber nach 14km hat ein voller Polizeibus angehalten und uns tatsächlich mitgenommen! Wenn schon illegal unterwegs, dann mit 12 Uniformierten. Jawoll. Sie waren echt super lieb und haben uns 60km bis nach Sur mitgenommen.
Da haben wir dann am Strand wieder in einem Bungalow gepennt.

20. MÄRZ

Wir haben beide so richtig scheiße geschlafen, nicht nur wegen der Situation, sondern auch weil es hell war, die ganze Nacht Leute um uns rumspaziert sind und in aller Herrgotts Früh wurden wir von jemandem geweckt, der einfach nur GOOD MORNING in unseren Pavillon schreit. Yeah das wird ein toller Tag.
Die Moscheen waren tatsächlich alle geschlossen, also haben wir uns in einem sehr sehr noblen Hotel frisch gemacht und Wasser aufgefüllt. Unter anderen Umständen wäre mir das wirklich unangenehm gewesen, aber so war mir wirklich alles egal.


An einer Tankstelle haben wir uns mit einem “Muscat” Schild auf die Straße gestellt und gehofft, dass sich jemand erbarmt und mitnimmt. Waren ja jetzt nur noch 3 Tage für 240km. Das war echt ein scheiß Gefühl, weil man die Zeit, die man da in der Hitze rumsteht, auch fahren könnte, um näher an den Flughafen zu kommen. Weil wirklich niemand angehalten hat, hat Tom einem der Polizisten vom Vortag geschrieben, ob er uns irgendwie helfen kann. Genau in dem Moment, wo er mit dem Auto zu uns kommt, hält ein Kleinlaster. Der Polizist und der Fahrer klären alles ab, wir laden die Räder mit sämtlichen Gepäck auf und fahren mit dem Polizisten hinter dem Transporter her. Das war auch irgendwie ein komisches Gefühl, weil wir ihn in dem Verkehr immer mal wieder aus den Augen verloren haben und ja kein Wort verstanden haben, was die da ausgemacht haben. Aber Omanis sind halt wirklich wahnsinnig gute und liebe Menschen! 20km vor Mascat musste der Laster dann in eine andere Richtung weiter, also haben wir alles abgeladen und sind mit dem Rad weiter. Wir waren wirklich so unglaublich dankbar, dass uns der Polizist die 170km eskortiert hat und extra für uns die ganze Strecke gefahren ist. Haben wir ihm natürlich gezahlt, aber trotzdem einfach sau lieb, weil die Verbote immer strenger wurden. Inzwischen waren auch alle öffentlichen Verkehrsmittel eingestellt und ein Verbot erteilt worden, Menschen aus einem anderen Hausstand in sein Haus zu lassen. Und die Strafen im Oman sind saftig.
Weil es schon am Dunkel werden war, haben wir am Fuße des Hügels vor Mascat das letzte Mal unser Zelt aufgeschlagen, das letzte Nacht zum Ruf des Muezzin gute Nacht gesagt und traurig in die Sterne geguckt.

21. MÄRZ

In der Früh haben wir uns Astronauten Rührei gemacht. Das hat uns die Julia, meine beste Freundin, zu Weihnachten geschenkt und meinen Eltern in den Iran mitgegeben. Eigentlich hatten wir uns das für ein ganz besonderes Notfallessen aufgehoben, aber so sollte es das letzte Camping-Frühstück zwischen Regen, Sturm und Sonne werden. War auch echt lecker. Dann sind wir den letzten Berg rauf. Fürchterlich. Eh schon überhaupt keinen Bock und dann auch noch diese Steigung!! Aber dann natürlich die letzte geile Abfahrt! Man sieht, am Ende war jeder kleine Schritt ein dramatisches letztes Mal.
Eigentlich wollten wir zu der Familie fahren, in deren Traumwohnung wir eine Woche gewohnt haben. Aber da das mit Corona echt schwer einzuschätzen war, wollte wir sie lieber nicht in Gefahr bringen und wollten uns ein Hotel suchen. Leider ist natürlich genau an dem Tag unsere SIM-Karte ausgelaufen. Klasse Timing. Unsere einzige Hoffnung war, dass das Internet von Luckys Radlgeschäft übers Wochenende nicht ausgestellt war. Es war ja Samstag, also der Sonntag der Omanis und deswegen geschlossen. Aber wir hatten Glück. Also mal wieder wie die Sandler vor dem Geschäft gesessen und nach Hotels geguckt. Inzwischen hat die Regierung auch schon die meisten Hotels geschlossen, aber eines direkt ums Eck war noch geöffnet. Den Lucky haben wir auch angeschrieben, ob er noch zwei Kartons für die Fahrräder zum Verpacken hat, aber der hat nicht geantwortet.
Also sind wir im Hotel eingecheckt, haben noch eingekauft und dann antworet Lucky, dass er Kartons hätte, die wir morgen abholen können! GEIL!! Weil die Räder kann man nicht einfach so ins Flugzeug einchecken. Man kennt das ja, wie da die Koffer rumgeschmissen werden und unsere Räder sind uns ja bekanntlich heilig. Außerdem ist es schlicht nicht erlaubt.

22. MÄRZ

Dann ACTION: Kartons abholen, Räder auseinanderbauen und irgendwie in den Karton bekommen. Sie sind halt einfach unendlich riesig. Weil wir halt so riesig sind. Eigentlich nicht überraschend, aber trotzdem garnicht so einfach zu handeln. Mit restlichem Gepäck ausstopfen und zukleben. Das Hotel hat kein Klebeband. Alle Shops sind geschlossen und es ist Sonntag. AAAHHHH… da kriegt man doch die Krise. Kein Mensch auf der Straße den man fragen könnte. Alles wie ausgestorben und wir laufen hysterisch in der Gegend rum, als wir einen winzigen Shop mit geöffneter Tür entdecken. Ein Shop für Schrauben und Klebeband. Ich fass es nicht. Also direkt zwei Rollen gekauft, die Pakete geschnürt und fertig mit Aufgabe eins. Nächstes Problem: Wie kommen wir die 10km zum Flughafen. Alle Öffis sind eingestellt, Taxis dürfen nicht mehr fahren und wir haben zwei riesen Kartons mit jeweils über 35kg. Carsharing gibt es nicht. Verzweifelt haben wir unsere Freunde von dem Apartment angerufen, der uns kurzerhand einfach sein Auto zur Verfügung gestellt hat. Uns fahren war blöd wegen Abstand halten und so weiter, also hat er es uns einfach vors Hotel gestellt und gemeint, wir sollen es am Flughafen parken und er holt es dann irgendwann wieder ab. Er hat nichtmal gefragt, ob wir einen Früherschrein haben!! Die sind echt einfach der Hammer!! Was für liebe selbstlose Menschen!!
Jetzt ist alles organisiert und wir können noch mit unseren Familien telefonieren und uns seelisch auf die Heimreise vorbereiten.

23. MÄRZ

Ab ins gepackte Auto und das erste Mal seit 8 Monaten wieder selber hinterm Steuer sitzen. Seltsam. Am Flughafen unsere riesen Kartons eingecheckt. Zwar echt ordentlich Übergewicht, aber bei dem ganzen Chaos war das denen glaub ich auch egal. Während ich alles teilnahmslos über mich ergehen lasse, sieht Tom nur die ganzen gecancelten Flüge, unser Übergepäck und traut dem Braten nicht, bis wir den Boden verlassen. Aber dann sind wir in der Luft und Mascat wird immer kleiner unter uns. Hey da sind die Berge, über die wir uns gequält haben. Hey da ist der schöne Wadi. Hier müsste irgendwo meine Haarbürste liegen.
Im Flieger bestellt der Typ vor uns einen Gin Tonic. Wir gucken uns an und bestellen auch zwei.
Verrückt, 8 Monate hinfahren, 8 Stunden zurückfliegen. Apatisch sitzen wir da und bestellen uns nochmal zwei. Dann den leichten Rausch ausschlafen. landen, von meinem Papa in der Kälte abgeholt werden und wieder an den Schloßberg fahren. Abendessen mit Brezen und Weißbier. Fühlt sich an, als wären wir nie weggewesen.