IRAN KALT

15. – 05. JANUAR 2020

DIE REGIERUNG IST SCHULD

Am 31.12. haben wir uns ganz traurig von meinen Eltern verabschiedet und sind mit dem Bus von Isfahan wieder nach Shiraz. Dort waren unsere Fahrräder im Hotel geparkt. Richtig Lust auf Silvester hatten wir nicht, aber dass um Mitternacht von der Dachterasse keine einzige Rakete, Fontäne oder Böller zu hören oder sehen war, war seltsam. Anstoßen ohne Alkohol war auch komisch, also lagen wir um 0.15 Uhr im Bett und haben geschlafen.

Am nächsten Tag mussten wir unser Visum in der Polizeidienststelle verlängern lassen. Also haben wir uns morgens auf den Weg gemacht und die chaotischste Behörde bisher erlebt. Wir hatten keine Ahnung wo anstellen, weil das Nummern ziehen auch mal wieder komplett ignoriert wurde. Zum Glück hatten wir den Ausländer Bonus und wurden an den Tresen vorbei in das hintere Durcheinander gewunken. Der Bearbeiter war super freundlich, hat uns noch beim Chef vorsprechen lassen und den Wisch ausgefüllt. Wir mussten nur noch in die 300m entfernte Bank, um das Ganze zu bezahlen. Aus 300m wurden aber fast 3km zu Fuß und der Bankangestellte hat nach 15 Minuten Formulare ausfüllen festgestellt, dass das Polizeikonto seit über einem Monat geschlossen ist und wir somit nicht bezahlen können. Wir sollen zurückgehen und mit einer neuen Kontonummer wiederkommen. Boa und wir dachten, das wird eine kurze Vormittagsaktion.

Weil wir schon wieder keinen Bock mehr hatten, sind wir mit dem Taxi gefahren. Im Polizeirevier angekommen, berichten wir von dem Problem und er rollt nur mit den Augen, fragt den nächstbesten Wartenden nach seiner Kreditkarte, bezahlt und sagt, wir wollen den Typ das Geld geben. Boaaaa!!! Wir haben dann auch noch erfahren, dass das wirklich seit einem Monat so geht, dass sie täglich Touristen in die blöde Bank schicken, um sich berichten zu lassen, dass das Konto geschlossen ist. Anstatt, dass sich da irgendjemand mal drum kümmert, oder sie gleich den Kreditkartentrick machen. Unglaublich. Bevor wir die Verlängerung aber bekommen haben, war noch Betzeit und wir sollten in einer Stunde wiederkommen. Dann mussten wir nochmal ein paar Formulare ausfüllen, zwei Passfotos abgeben und irgendwelche Kopien machen. Und zum Dank mussten wir dem Kerl noch in sein Gästebuch schreiben, nochmal ein Passfoto einkleben und uns für die schnelle Bearbeitung bedanken!! Ja Danke jetzt ist es 16 Uhr.

Leider war der Koller noch nicht vorbei. Wir waren zwar um einiges optimistischer und uns hat alles nicht mehr ganz so aufgeregt (bis auf die Visumsgeschichte), aber es war halt immernoch Iran im Winter und jetzt kein Auto mehr. Und dann kam das Soleimani Attentat. Das iranische Fernsehen ist komplett ausgerastet, es lief überhaupt nichts anderes mehr: Interviews, Lebensrückblicke, Trauermärsche, Soldatenchöre, Bildergalerien mit dramatischer Musik und weinende, hysterische Leute. 

Zu der Zeit waren wir bei Narges zuhause, die uns zu ihrer Familie eingeladen hat. Zum Essen sind wir zu ihrer Tante gegangen und ich durfte nochmal in eins ihrer schönen traditionellen Gewänder schlüpfen. Das sind echt viele Schichten Samt und Polyesther.. kann mir garnicht vorstellen, wie die das im Sommer tragen können, ohne unendlich zu schwitzen und stinken. Aber sehr schön sieht es aus und der Rock schwingt so toll.. aah mal wieder Mädchen sein. Auf jeden Fall sind wir nach dem Essen wieder zurück zu den Eltern gefahren und da lief der Fernseher mit den Nachrichten. Aber die Familie hat sich garnicht weiter drum gekümmert! Wir haben uns völlig bestürzt davor gehockt und alles gebannt verfolgt. Verstanden haben wir nix, aber die Bilder haben genug gesprochen. Auf die Frage, ob wir das denn richtig interpretieren, haben sie bloß bejaht und sind garnicht weiter drauf eingegangen. 

Das war ein gutes Beispiel, wie wir das so im Iran erlebt haben. Nämlich, ehrlich gesagt, bis auf das Fernsehen überhauptnicht. Die Stimmung um uns hat sich nicht geändert und es hat scheinbar keinen ernsthaft interessiert. Manchmal haben uns Mopedfahrer im Überholen gefragt, ob wir Amerikaner sind, aber unsere Kartoffelgesichter lügen nicht. Und es gab übelste hetzerische Whatsapp Statusse von ein paar Mädchen, mit denen ich schreibe. Die wollen nämlich Englisch lernen und freuen sich, wenn sie eine europäische Freundin haben. Und die haben richtige Vergeltungsvideos hochgeladen, aber ausgesprochen hat keiner was. Und an den Ortseingängen hingen nach zwei Tagen an allen Straßenlaternen schwarze Flaggen und Soleimani Poster. Da waren wir echt beeindruckt, dass sie keine grade Mauer bauen können, aber in so kurzer Zeit leinwandgroße Poster organisiert kriegen.

Weil alles irgendwie schräg war, hier jetzt auch eine schräge Zusammenfassung der Tage:

Also alles in allem sind wir sehr gespalten über das Land. Die Leute sind wie gesagt super lieb, aber manchmal ist es einfach zu viel, weil man nie in Ruhe gelassen sondern nur belagert und fotografiert wird. Und wenn man sagt, dass man seine Ruhe will, wird das gerne einfach ignoriert. Außerdem nervt die Nachlässigkeit und dass nichts funktioniert. Ob das jetzt um die Einrichtung in Häusern, Hotels oder öffentlichen Gebäuden geht oder um eine Aussage, auf die man sich verlassen muss. Da weint der Deutsche in mir einfach. So sehr ich mir das abgewöhnen will, weil das wird sicher noch abenteuerlicher. 

Aber da bauen sich Leute ein schönes großes Haus, weil man ist reich und das zeigt man durch einen pompösen ersten Stock, den man über der Grundstücksmauer sieht. Einrichten tun sie aber nur Küche und Wohnzimmer, weil mehr braucht man nicht. Der Rest steht leer und vergammelt unter dem undichten Dach. Die Fliesen, Ziegel und der übrige Bauschutt werden einfach auf einen Haufen vor dem Haus geschmissen und so sehen da auch die Siedlungen aus. Alles wie zerbombt und schnell neu aufgebaut. Von Elektrizität und Wasserversorgung will ich garnicht anfangen. Oder Ästhetik und Symmetrie. Oder Umweltbewusstsein. Der Müll wird einfach fallen gelassen, wo man gerade steht oder fährt, und der Wind sammelt das dann alles an Mauern oder in Büschen. Einheitliche Treppenstufenhöhen sind eher eine Empfehlung und Deckenhöhen scheinen zufällig gewählt. Wenn gestrichen werden muss, dann nur das, was dreckig ist, und wenn der Farbton nicht genau passt, ist das auch nicht schlimm. Abkleben gibt es hier quasi nicht, und so sehen dann die Steckdosen, Lichtschalter, Türstöcke und Böden auch aus. Aber macht ja nix, kommt ein Teppich drüber. Dann hat man zwar eine schöne Stuckdecke, aber der Heizlüfter wäre halt praktisch, also wird der einfach von der Decke gehängt. Passt schon. Ach mist, der Boiler passt ja garnicht in den Küchenschrank. Egal, dann steht die Tür halt ein bisschen offen. Und damit sich die Bezüge im Auto nicht abnutzen, wird alles in Plastikfolie eingepackt. Teilweise auch die Stühle in Restaurants oder Hotels. Schutzfolien von Edelstahl oder Verschalungen werden generell nicht abgezogen. Und die Fliesen sehen manchmal so aus, als hätte ein Kind die Karten beim Memory ausgelegt. 

Das ist an sich alles nicht so schlimm, aber der Perfektionist in mir wird traurig. Vorallem weil die Mentalität ähnlich ist und jedes Scheitern auf keinen Fall der eigenen Nachlässigkeit geschuldet ist, sondern einfach auf die Politik abgewälzt wird. „Die Regierung tut ja nichts“… Das haben wir später erfahren, dass viele Iraner denken, wenn in Deutschland der Laden nicht läuft, kommt die Regierung, gibt einem Geld und regelt das.

Gerade durch den Besuch meiner Eltern haben wir ja gesehen, dass das Land wahnsinnig viel Potential hat mit traumhaften Landschaften, interessanter Kultur, tollen Bauwerken, Geschichte, liebe Leute aber irgendwas durchdacht und ordentlich machen können die wenigsten. Und viele wollen nach Deutschland, weil dort ja alles so schön ist und man gut verdient. Aber dass sie da mit ihrem Wabbler-Tum auch nicht weit kommen, kann man ja schlecht sagen.

Ein schönes Beispiel hatten wir allerdings in einem Guesthouse in Abadeh. Da wollten wir eingentlich nur eine Nacht bleiben, aber das gute vegetarische Essen, die lieben Besitzer und das liebevoll gestaltete Guesthouse haben uns dann doch zu dreien überzeugt. Trotzdem mussten sie die Türklinke vom Bad abmontieren, weil ich nicht mehr rauskam. „Ach das hat letztes Mal schon geklemmt, da sollten wir uns mal drum kümmern. Also bitte die Tür nicht mehr benutzen.“

Irgendwann war uns das ganze Politikzeug zu heikel. Es ist echt ein ungutes Gefühl, in einem Land zu sein, das kurz vor dem Krieg stehen könnte. Vorallem weil wir ja mit der Fähre nach Dubai wollten und die Straße von Hormus ein heißes Pflaster ist. Also haben wir uns vor einem Berg im Regen gefragt, wie scheiße kanns noch werden und haben auf einem Rastplatz Ausschau nach einer Mitfahrgelegenheit gehalten. Nach 10 Minuten kam ein Militärbus, alle steigen aus, kommen auf uns zu und auf einmal war Tom von einer Horde Soldaten umgeben. Jeder wollte ihm einmal die Hand schütteln. Verrückt. Ich stand im Hintergrund und hab mir das Schauspiel angeguckt. Frauen gibt man normalerweise nicht die Hand, also hab ich mit der Hand auf dem Herz fleißig genickt. Nachdem jeder durch war, haben sie sich Pommes geholt und uns zugeguckt, wie ein lieber Sattelschlepper tatsächlich noch Platz für unsere Räder hatte. Zwar saßen wir so die ganzen Höhenmeter, die wir uns vorher mühsam raufgequält haben im LKW, aber war schon ein besseres Gefühl am Meer und damit näher am Ausgang zu sein. Und die Fahrt war wirklich witzig. Er konnte zwar kein Englisch, aber mit dem Google-Translator kam doch eine gute Unterhaltung zustande. Auch wenn die Übersetzung nicht immer sinnvoll war: „Schlanke Stücke Sein ist super!“


EMPFEHLUNG DER REDAKTION

  • Dorafshan Ecolodge| schönes, gemütliches, traditionelles Guesthouse in Abadeh mit wahnsinnig lieben Besitzern, die englisch können und einem alles zeigen und erklären